„Mein Maximilian ist hochbegabt. Er wird mal Arzt, Anwalt, Professor, Astronaut oder Gehirnchirurg“ – Zitat von Klaudia Wertmeyer aus dem schönen Schwabenland. Die Familie wohnt in einer geräumigen Doppelhaushälfte, der lieb grinsende Labrador genießt die Sonne im Garten. Ein hoher gesellschaftlicher Status ist das Lebenselixier der Wertmeyers. Sämtliche Namen in diesem Fantasie-Beispiel sind frei erfunden. Falls es tatsächlich eine Klaudia Wertmeyer mit Sohn Maximilian gibt, schicken wir schöne Grüße!
Gute Handwerker sind Mangelware: Statistiken
- „im Jahr 2021 rund 360.000 Lehrlinge gezählt – im Jahr 1998 waren es im Vergleich dazu noch rund 625.000“
- Infografik: 10 Wochen warten auf den Handwerker
Aber mal im Ernst, warum sind Berufsausbildungen im handwerklichen Umfeld so unbeliebt geworden? Nun ja, die Statussucht aus dem oben angeführten Beispiel ist sicherlich ein wichtiger Grund dafür. Doch das ist noch längst nicht alles. In diesem Beitrag versuchen wir zu erklären, warum von der Generation TikTok niemand mehr im Handwerk arbeiten möchte. Die Gründe dafür sind nicht wirklich schockierend.
Status über alles
Im konservativen deutschen Haushalt wird viel über Ausbildungen und Abschlüsse gesprochen. Der Kevin der Schmidts hat das zweite Staatsexamen bestanden! Gundula, die Tochter des Postboten, macht gerade das Physikum und wird bald als Ärztin tätig sein. Für Klaudia aus unserem Fantasie-Beispiel wäre es nun ein absoluter Graus, wenn ihr ihrer Ansicht nach hochbegabter Maximilian „nur eine Lehre zum Maler“ machen würde. Daher heißt es, mitziehen und im jeden Preis einen Bachelor an der Uni machen!
Doch warum genau hat die Berufsausbildung an Status verloren? Geschichtlich betrachtet ist das wahrlich ein interessantes Phänomen. So wurde das Land nach der Verwüstung des zweiten Weltkrieges schließlich nicht von Professoren im Elfenbeinturm aufgebaut – sondern von normalen Arbeitern und Trümmerfrauen, die anpacken konnten. Nach einigen Jahren wurden die „Anpack-Arbeiten“ dann erfolgreich abgeschlossen und das Leben normalisierte sich langsam aber sicher wieder.
Das dürften in etwa die 1960er und 1970er Jahre fort folgend gewesen sein. Immer mehr Universitäten sprossen aus dem Boden, private Hochschulen kamen langsam aber sicher in Mode. Und damit einhergehend wollten immer mehr Eltern, dass Ihr Nachwuchs einen ihrer Ansicht nach hochwertigen Abschluss macht, damit die Kinder es später mal „besser haben als sie selbst“.
Den Höhepunkt dieses Trends haben wir 2023 wohl noch lange nicht gesehen – Fachkräftemangel und fehlende Azubis sind ein wachsendes Problem, welches sich insbesondere in der Wohnungsnot manifestiert. Ist das endlich der Zeitpunkt zum Umdenken in der Gesellschaft?
Eine Generation von Stubenhockern?
Im Zuge der Digitalisierung ist Anpacken zur Seltenheit geworden. Kinder verbringen so viel Zeit wie noch nie vor Bildschirmen in der virtuellen Welt. Zeit für handwerkliche Projekte, um den Nachwuchs an das Thema heranzuführen, fehlt vielen Familien außerdem wegen beruflicher Dauerbelastung. In einer komplizierter werden Welt haben die Menschen das Gefühl, weniger Freizeit zu haben, obwohl sie tatsächlich so viel Freizeit wie noch nie zu vor haben – wahrlich paradox. Auch interessant: Als Student mit Webdesign Geld verdienen: Tipps!
Was sehen Jugendliche, wenn sie zu ihrer Lieblings-App TikTok greifen, auf ihrer For-You-Page? Promotion für handwerkliche Themen gehören hier eher zur Seltenheit. Mit ein bisschen Glück sehen Sie sportliche junge Menschen, die zu rythmischer Musik tanzen – immerhin ein Anreiz für Fitness und gesunde Ernährung. Doch sie werden auch überflutet an Informationen zu den neuesten Serien, Games und was auch immer sie in der Wohnung bleiben lässt.
Wer nicht gerade in einer Familie von Handwerkern aufwächst, wird also heutzutage wenige Berührungspunkte zum „klassischen Anpacken“ entdecken. Die Schulen machen auf jeden Fall keinen guten Job darin, das Handwerk zu loben. Ganz im Gegenteil, es wird eine weitere Generation von Beamten, Bürokraten und Bildungsstatusliebhabern herangezüchtet. Die Vorstellung eines „kultivierten, intellektuellen Lebensstiles“ bezieht sich fortwährend auf das „intellektuelle“ Dasein im Elfenbeinturm der Professoren.
Was kann die Politik dagegen tun?
Leider ist der Mangel an begabten Handwerkern in diesem Land vielen Politikern erst im Jahre 2023 im Zuge der großen Wohnungsnot in Deutschland aufgefallen. Auf einmal fällt den Leuten auf, dass es vielleicht etwas zu viele Professoren und Beamte im öffentlichen Dienst auf Lebenszeit gibt, und fähige Handwerker immer mehr zu Mangelware werden. Ist es nun endlich an der Zeit, eine Initiative zu ergreifen?
Der größte Berührungspunkt für junge Menschen wäre sicherlich die Schule. Es gibt endlos viele Fächer, in denen veraltete Theorien gebetsmühlenartig vorgebetet werden, welche die Schüler bulimieartig auswendig lernen und nach ein paar Wochen wieder vergessen. Warum nicht ein paar Fächer mit praktischen Handwerksarbeiten einführen?
Vielleicht fehlt das Budget, das Interesse oder wahrscheinlich beides und noch viel mehr. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich wohl in ihrer Position, immer wieder den selben alten Stoff vorzubeten, der realitätsfremder nicht sein könnte. Es hängen einfach zu viele gut bezahlte Lehrerjobs am verkrusteten Bildungsmodel in Deutschland – daran wird sich so schnell nichts ändern. Lesen Sie auch: Lohnt sich ein Studium mit 50?
Zur Zeit scheint es, als wäre Zuzug nach Deutschland die beste Lösung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ob das gut geht, wird sich auch erst im Laufe der nächsten Jahre zeigen. Warum nicht jetzt schon Initiativen starten, um jungen Menschen das Handwerk wieder schmackhafter zu machen? Dafür müssten jedoch statusgeile Eltern und hochintelligente Lehrer an einen Strang ziehen, um wirklich etwas bewegen zu können.
Fazit
Es ist traurig zu sehen, dass handwerkliche Berufe im Laufe der Zeit derart an Bedeutung verloren haben. Die daraus resultierenden Probleme werden der Gesellschaft erst jetzt klar. Einen Termin beim Handwerker rechtzeitig zu bekommen gleicht dem Lottospiel. Bezahlbarer Wohnraum wird zur Mangelware (wobei daran womöglich auch die langen Verfahren zur Erschließung neuen Wohnraums Schuld haben.) Welche Studiengänge (Abschlüsse) haben Zukunft?
Hoffnung bleibt nur darin, dass Politik und Gesellschaft endlich verstanden haben, dass Handwerksberufe ein unglaublich wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung sind. Wenn alle Menschen nur noch intelligente Kommentare auf Twitter von sich geben, wird dadurch die Wohnungsnot und Deutschland womöglich nicht gelöst.
Daher ist es an der Zeit, das deutsche Bildungssystem an die aktuelle Lage anzupassen. Dass das jedoch passieren wird, ist äußerst unrealistisch. Im verkrusteten deutschen Bildungssystem wird sich so schnell nichts ändern – das ist so sicher wie der Dezimeter im Mathematikunterricht der vierten Klassen. Ach, das Parallelogramm wird mir später sicherlich dabei helfen, eine bezahlbare Wohnung zu finden.